Virtuose Violinmusik des 17. Jahrhunderts
Johann Pachelbel (1653 – 1706) | Partie VI in B-dur aus Musicalische Ergötzung für 2 skordierte Violinen und Bc Sonata. Adagio – Aria – Courant – Gavotte – Saraband – Gig |
Antonio Bertali (1605 – 1669) | Ciaccona für Violine und Bc, aus Partiturbuch Ludwig |
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704) | Partia IV in Es-dur aus Harmonia artificioso-ariosa für skordierte Violine, Viola und Bc Sonata – Allamande – Trezza – Aria – Canario – Gigue – Pollicinello |
Johann Pachelbel (1653 – 1706) | Partie IV in e-moll aus Musicalische Ergötzung für 2 skordierte Violinen und Bc Sonata. Adagio – Aria – Courant – Aria – Ciacona |
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704) | Sonate VI in c-moll für Violine und Bc aus „8 Sonaten für Violine solo 1681“ |
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704) | Partia V aus Harmonia artificioso-ariosa in g-moll für 2 skordierte Violinen und Bc Intrada – Aria – Balletto – Gigue – Passacaglia |
Harmonie Universelle
Florian Deuter & Mónica Waisman: Violine & Leitung
Ilona Les: Violone
Marta Dotkus: Cembalo
Wer ist Ihr Favorit? Der musikalische Tausendsassa Johann Pachelbel aus Nürnberg mit dem flotten „Gig“ aus seiner „Musicalischen Ergötzung“ oder der Salzburger Geigenstar Heinrich Ignaz Franz Biber mit dem glutvollen „Canario“ aus seiner „Harmonia artificioso-ariosa“? Ob Zufall oder nicht, die beiden Musikgenies konkurrierten Ende des 17. Jahrhunderts mit ihren espritvollen Sonaten für zwei „verstimmte“ Violinen und Basso continuo auf dem Notenmarkt. Florian Deuter und Mónica Waisman bieten mit Harmonie Universelle das Schönste aus beiden Sammlungen und ergötzen sich noch an weiteren hochvirtuosen Violinwerken von Antonio Bertali und Andreas Uswalt.
Musicalische Ergötzung
Von »kunstvoll-gesanglichem Wohlklang in verschiedenen Saitenstimmungen« spricht der Salzburger Hofkapellmeister Heinrich Ignaz Franz Biber 1696 in geschraubtem Humanisten-Latein. Eine »musicalische Ergötzung bestehend in sechs verstimten Partien, denen Liebhabern der edlen Music zur Recreation gesetzt« verheißt der Nürnberger Sebaldus-Organist Johann Pachelbel etwa zur gleichen Zeit. Beide meinen sie grundsätzlich das Gleiche und preisen damit ihre neuen Notendrucke mit Kammersuiten (»Partien«) für zwei Streichinstrumente und Basso continuo an, in denen die Violinen oder Violen jeweils abweichend von der Standardstimmung, also »skordiert« zu hören sind. Die Skordatur lässt die beiden Oberstimmen da in einem etwas anderem Licht als üblich leuchten, wenn sie in beredtem Mit- und Gegeneinander über dem Fundament der Bassinstrumente nach einer einleitenden Sonata ihre virtuosen Folgen von stilisierten Tänzen und instrumentalen Arien darbieten. Für alle Geiger und Geigerinnen stellt die ungewöhnliche und überdies von Suite zu Suite wechselnde Einstimmung ihrer Instrumente eine gehörige technische und intellektuelle Herausforderung dar.
Ist es ein Zufall, dass die beiden Sammlungen in so enger zeitlicher Nachbarschaft erschienen? Dazu ließe sich vielleicht mehr sagen, wenn man Pachelbels Ergötzung exakt datieren könnte. Im Sommer 1695 war der Tastenvirtuose nach Jahren als Hof- und Stadtmusiker in Eisenach und Erfurt, Stuttgart und Gotha in seine Geburtsstadt Nürnberg zurückgekehrt, dort gravierte er eigenhändig die Kupferplatten für seine Notenausgabe. Dass Biber, der böhmische Violinvirtuose an der Spitze der fürsterzbischöflichen Hofkapelle in Salzburg, Pachelbels Suiten in Triobesetzung schon kannte, als er 1696 seine Harmonia artificioso-ariosa veröffentlichte, ist unwahrscheinlich. Jedenfalls übertrumpft seine Sammlung die Nürnberger Ergötzung, indem sie sieben statt sechs Suiten bietet (eine dann doch ohne Skordatur), neben den Geigen auch Piccolo-Violinen und Violen d’amore heranzieht und einmal eine Viola für die zweite Stimme vorsieht. Vor allem aber nutzt Biber die Umstimmung der Saiten auch ausgiebig dazu, die beiden Streicher Akkorde greifen zu lassen, wie sie in der Normalstimmung gar nicht möglich wären. Man meint mitunter ein ganzes Streichensemble zu hören. Pachelbel hingegen ergötzt sich und sein Publikum weniger an solchen Kunstgriffen als am schlichten Wohlklang der in seinen Skordaturen besonders sonor tönenden Melodienlinien beider Violinen.
Harmonie Universelle bietet heute je zwei individuelle Kostproben aus dem Nürnberger und dem Salzburger Druck. Darüber hinaus zeigt das Ensemble Biber noch in einer schon 1681 veröffentlichten Solosonate. Hier stimmt er erst mittendrin, nach einer weit ausgreifenden Passacaglia mit ihren vielfach wiederholten Bass-Harmonien, die obere Violinsaite um einen Ton herab. Die zweite Hälfte des Stücks hüllt er dadurch in ein geheimnisvoll gedämpftes Licht.
Im Partiturbuch Ludwig, einer bemerkenswerten handschriftlichen Sammlung, die 1662 in Gotha entstand, finden sich die weiteren Werke der ersten Programmhälfte. Da zeigt Antonio Bertali, der venezianische Violinmeister am Wiener Kaiserhof, alle Facetten seiner Geigenkunst in mitreißenden Variationen über der ›groovigen‹ Bassfloskel einer Ciaccona. Und der junge Weimarer Kammermusikus und Hoforganist Andreas Oswald beweist mit seiner Aria variata, wie phantasievoll sich ein liedhaft-eingängiges Thema in charmanten Terzen- und Sexten-Figurationen immer wieder neu umspielen lässt. Hochbarocke Violinmusik vom Feinsten!
Bernd Heyder